Offener Brief der FDP Aargau an den Regierungsrat zum wirtschafts- und finanzpolitischen Umgang mit der Corona-Krise im Kanton Aargau

Offener Brief vom der FDP Aargau an den Regierungsrat
zum wirtschafts- und finanzpolitischen Umgang mit der Corona-Krise im Kanton Aargau

23. März 2020

Sehr geehrte Herren Regierungsräte

Die gegenwärtige Situation rund um die Corona-Krise ist äusserst fordernd. Wir danken dem Regierungsrat und der Verwaltung des Kantons Aargau für ihren grossen Einsatz und den ruhigen, sachlichen Umgang in der besonderen Situation und wünschen für die weitere Bewältigung Weisheit und Besonnenheit. Als Partei und Fraktion werden wir nach bestem Wissen und Gewissen mithelfen, damit die Krise als Gemeinschaft gemeistert werden kann.

Für das Wirtschafts- und Gesellschaftssystem ist die Ergreifung von Sofortmassnahmen zur bestmöglichen Verhinderung von negativen Langzeitfolgen absolut zentral. Der Bundesrat hat hier mit verschiedenen Notverordnungen erste Schritte eingeleitet. Oberstes Ziel muss es sein, rasch, genügend und unbürokratisch zu helfen. Nun gilt es, die Massnahmen auf Kantonsebene wo nötig zu präzisieren, zu ergänzen und möglichst rasch umzusetzen. Die FDP.Die Liberalen Aargau appelliert an alle Parteien, dem Regierungsrat heute das nötige Vertrauen entgegenzubringen. Er soll per Notverordnung die wichtigsten Entscheidungen treffen können, ohne wertvolle Zeit für allfällige Kommissionsberatungen zu verlieren. Diese Kompetenz kommt dem Regierungsrat gestützt auf die Verfassung zu. Der Regierungsrat wird im Rahmen der üblichen Berichterstattung ohnehin Rechenschaft über seine Tätigkeit ablegen müssen. Heute ist Vertrauen in sein Handeln gefragt!

Aus Sicht der FDP stellen sich vordringlich folgende Herausforderungen bzw. offenen Fragen, um deren Berücksichtigung wir den Regierungsrat dringend ersuchen.

 

Bankkredite an Unternehmen

Der Bund hat Bürgschaften für Kredite in Form von Darlehen an Unternehmen in Aussicht gestellt. Hier ist die konkrete Abwicklung durch die Banken raschestmöglich zu klären. Dabei ist aus unserer Sicht auch zu prüfen, ob ein Teil der Darlehen als nicht rückzahlbar erklärt werden soll. Denn nicht jede Unternehmung wird ohne Weiteres in der Lage sein, aufgrund der Corona-Krise benötigte Darlehen zurückzubezahlen. Ebenso sind die Banken aufzufordern, sich für die rückzahlbaren Darlehen auf einen minimalen Zins zu beschränken. Bei denjenigen Krediten, die durch die Bundesgarantie gedeckt sind, soll der Zins 0 Prozent betragen. Für die rasche Abwicklung (Sprechung von Krediten) kann es hilfreich sein, wenn der Kanton Bürgschaften gewährt, die noch etwas höher sind als die Bundesbürgschaften. Ausserdem sind seitens Kanton Härtefalllösungen zu suchen, die für Unternehmen gelten, die von den Bundesmassnahmen nicht abgedeckt sind, allenfalls auch hier mit A-fonds-perdu-Beiträgen. Beispielsweise ist zu klären, wie Geschäfte, die geöffnet haben müssen und keinen Erwerbsausfall geltend machen können, bei Bedarf unterstützt werden können. Kleinbetriebe ohne Kontokorrent, bei denen die Banken keine Informationen über die Liquidität haben, sollen auch rasch und zielgerichtet unterstützt werden – hier sind etwa Kombinationen von Bürgschaften und A-fonds-perdu-Beiträgen zu prüfen.

 

Unterstützende Massnahmen des Kantons für KMU

Die FDP Aargau bittet den Regierungsrat, ergänzende Unterstützungen für die Selbständigerwerbenden und die KMU-Wirtschaft zu planen, zu identischen Kreditbedingungen wie vom Bund vorgesehen. Strukturerhaltende Massnahmen sind dabei zu vermeiden. Es geht um Unterstützungen, welche aufgrund der Corona-Krise notwendig geworden sind, nicht um die Behebung von vorbestehenden Finanzschwächen. Die Verwaltungsabläufe sollen so organisiert werden, dass die Entschädigungen für Kurzarbeit sowie Arbeitslosengelder rasch ausbezahlt werden können. Ein zusätzlicher Aufbau der RAV soll wo immer möglich verhindert werden. Auf Taggeldern und Entschädigungen im Zusammenhang mit COVID-19 ist auf Sozialversicherungsbeiträge zu verzichten, damit die Unterstützungswirkung nicht geschmälert wird. Die FDP bittet den Regierungsrat, den Bundesrat aufzufordern, diese Massnahme per Notverordnung umzusetzen.

 

Entschädigung bei Erwerbsausfällen für Selbständige

Der Regierungsrat wird gebeten, sicherzustellen, dass alle Selbständigen, welche grössere Erwerbsausfälle zu verkraften haben, eine Entschädigung erhalten. Selbständige haben jahrelang Arbeitsplätze angeboten und auch Arbeitslosenversicherung-Beiträge einbezahlt. Es ist angemessen, wenn sie nun ebenfalls eine Entschädigung erhalten. Überdies droht gerade Kleinstbetrieben ohne Entschädigung die Schliessung, was unsere Wirtschaft nachhaltig schädigen würde. Der Regierungsrat wird gebeten, beim Bund eine grosszügige Auslegung anzustreben oder die Selbständigen, welche die Bundesvorgaben nicht erfüllen, ergänzend zu unterstützen.

 

Aufrechterhaltung der staatlichen Angebote

Wo möglich sollten die staatlichen Stellen ihre Angebote aufrechterhalten, um der Privatwirtschaft mit den notwendigen Dienstleistungen und Bewilligungen die Fortführung der Tätigkeiten soweit zu gewährleisten.

 

Verzicht auf Betriebsschliessungen

Die FDP fordert, wenn immer möglich, auf Betriebsschliessungen in der Industrie, im Gewerbe und damit auch im Bausektor zu verzichten. Der Regierungsrat ist aufgerufen, diese Haltung gegenüber dem Bundesrat konsequent zu vertreten. Die Aargauer Wirtschaft ist auf Arbeitskräfte angewiesen. Der Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz gemäss den Bundesvorgaben muss dabei selbstverständlich zwingend eingehalten werden. Es braucht gemeinsame Anstrengungen von allen, damit die Wirtschaft nicht zum Stillstand kommt und die funktionierenden Wertschöpfungsketten nicht unterbrochen werden.

 

Prüfung temporärer Abbau von Zulassungen/Bewilligungen

Zur Erweiterung des Spielraums der Unternehmen im Umgang mit der schwierigen Situation sollte der temporäre Abbau oder die Vereinfachung und Beschleunigung von Zulassungen und Bewilligungen geprüft werden, beispielsweise zur unkomplizierten Umnutzung eines Betriebs für eine beschränkte Zeit oder die temporäre Übernahme von Personal durch einen anderen Arbeitgeber.

 

Stundung der Steuern

Die Frist für die Einreichung der Steuererklärung für natürliche Personen ist bereits auf den 31. Mai 2020 verlängert worden. Zusätzlich soll diese Frist für Selbständigerwerbende und juristische Personen auf den 31. August 2020 verlängert werden. Generell soll die Fälligkeit für die Kantons-, Gemeinde- und Kirchensteuern um zwei Monate verlängert werde. Auf Verzugszinsen soll bis Ende Jahr verzichtet werden.

 

Flexibilisierung Arbeitsgesetz

Der Regierungsrat wird gebeten, sich beim Bundesrat für eine temporäre Flexibilisierung des Arbeitsgesetzes einzusetzen, um den Unternehmen vorübergehend mehr Handlungsspielraum zu geben – beispielsweise bei der Einführung von Mehrschichtenbetrieb oder der Möglichkeit von Sonntagsarbeit. Dem Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmer ist dabei selbstverständlich absolute Priorität einzuräumen. Wo Arbeit im Rahmen der Sicherheitsvorgaben des Bundes möglich ist – etwa auf Baustellen – soll gearbeitet werden können, sofern die Vorgaben eingehalten werden. Wo Verstösse festgestellt werden, muss die Arbeit sofort gestoppt bzw. die entsprechende Baustelle geschlossen werden.

 

Solidarität der Arbeitnehmer

Die Wirtschaft sind wir – alle zusammen. Auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können mithelfen bei der Abfederung der Krisensituation. Beispielsweise können zuerst Überstunden abgebaut und Ferien bezogen werden. Auch die Bereitschaft für punktuelle zusätzliche, flexible Einsätze im Rahmen der noch bestehenden Möglichkeiten kann die Arbeitgeberseite situativ entlasten.

 

Grenzverkehr sicherstellen

Die (Teil-)Schliessung der Grenzen und die rigorosen Grenzkontrollen führen zu teilweise massiven Problemen. Erstens können Grenzgänger ihrer Arbeit nicht mehr geordnet nachgehen, weil sie an den Grenzen aufgehalten werden. Der Regierungsrat hat mittels Notverordnung erlassen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus dem Ausland bis auf Weiteres in der Schweiz bleiben können. Dies wird von der FDP begrüsst. Zweitens reissen Lieferketten ab, so dass beispielsweise auch das Baugewerbe und Industrie- und Gewerbebetriebe in der Schweiz in absehbarer Zeit nicht mehr arbeiten können, obwohl sie dies weiterhin dürften. Die FDP lädt den Regierungsrat ein, diesbezüglich das Gespräch mit dem Bundesrat zu suchen, da es sich hier um eine Bundeskompetenz handelt. Ziel muss es sein, mit den Nachbarländern rasch Lösungen zu erreichen.

 

Schulen: Lehr-/Lernprozesse sicherstellen

Die bereits angelaufene Umstellung vom physischen auf den digitalen Unterricht wird unterstützt. Die FDP lobt den entsprechenden Einsatz der Lehrpersonen ausdrücklich. Bis nach den Frühlingsferien sind vom Departement Bildung, Kultur  und Sport digitale Lehr- und Lernformen zur Verfügung zu stellen, die nicht nur die Repetition, sondern die Weitervermittlung der Lerninhalte so ermöglichen, dass keine Klassen wiederholt und alle Abschlussprüfungen durchgeführt werden können.

 

Rechtssicherheit gewährleisten

Zusätzliche Rechtsstillstandsfristen zu den bereits angeordneten SchKG- und ZPO-Massnahmen sind zu vermeiden. Erstens muss der Rechtsschutz gewährleistet bleiben. Zweitens müssen Unternehmen auf die schwierigen Umstände reagieren können, etwa mit Baugesuchen für Umnutzungen ihrer Räumlichkeiten, die tatsächlich behandelt werden.

 

Pilotnormen ermöglichen

Für innovative Unternehmen und unternehmerische Ansätze sollen wo möglich Pilotnormen geschaffen werden.

Für die Berücksichtigung der von uns erläuterten Punkte danken wir Ihnen, sehr geehrte Herren Regierungsräte, bestens. Für die weiteren anstehenden Herausforderungen wünschen wir Ihnen viel Energie, Weitsicht und – trotz allem – Zuversicht. Für einen persönlichen Austausch stehen wir jederzeit gern zur Verfügung.

 

Freundliche Grüsse
 

FDP.Die Liberalen Aargau

                                             

Lukas Pfisterer                                Sabina Freiermuth
Parteipräsident                               Fraktionspräsidentin